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Selbstbewusst und offen: Wie Schwerhörige Hörherausforderungen im Alltag meistern können
Mit Anfang 20 hatte Jana Verheyen einen Hörsturz, ihre Hörfähigkeit hat seitdem stetig abgenommen. Nach mehr als 25 Jahren mit hochgradiger Schwerhörigkeit und Hörgeräten ist sie beidseitige Trägerin von Cochlea-Implantaten. Ihr vermeintliches Handicap nutzt Verheyen als Kompetenz: Sie berät und coacht Schwerhörige.
Frau Verheyen, Sie haben sich selbst den Titel Audio-Coach gegeben. Was genau machen Sie bei Ihrer Arbeit?
Als Audio-Coach kreuze ich die Audiotherapie mit dem systemischen Coaching. Das heißt: Ich berate und coache Hörgeschädigte, was sie zusätzlich zur Hörgeräteversorgung tun können, um akustisch integriert zu bleiben. Die Technik ist nämlich nur die eine Seite: Sie ist super, hat aber zugleich ihre Grenzen. Da stellt sich die Frage, was ich als Mensch dazu beitragen kann, um diese Grenzen ein bisschen zu verschieben. Wichtig ist das Umfeld. Es geht darum, wie ich anderen mitteile, was ich von ihnen brauche, damit ich sie leichter verstehe. Und es geht darum, wie ich kommuniziere, dass keiner das nur mir zuliebe macht, sondern auch im eigenen Interesse.
Es ist also wichtig, dass Betroffene sich davon lösen, die Schwerhörigkeit alleine meistern zu wollen?
Genau. Viele Betroffene sehen in der Schwerhörigkeit ein Defizit – und das Umfeld macht das genauso. Wichtig ist, selbstbewusst zu bleiben und zu erkennen: Ich als Mensch bleibe der gleiche, was Schwierigkeiten bereitet, ist mein Gehör. Mit dieser Haltung trete ich anderen auf Augenhöhe gegenüber, kann ihnen meine Schwerhörigkeit als Tatsache erklären – nicht als Problem – und im gleichen Atemzug Lösungen aufzeigen, wie wir gemeinsam Kommunikationsbarrieren überwinden können. Es ist etwas anderes, wenn ich zu jemandem sage: „Hey, wenn du mich ansiehst beim Sprechen, verstehe ich dich auf Anhieb, und du bekommst sofort meine Antwort“, anstatt: „Tut mir leid, ich bin schwerhörig und habe dich nicht verstanden.“ Damit beschreibe ich nur meine nicht-funktionierende Seite, und hinterher weiß immer noch niemand, was hilft, damit die Unterhaltung für beide Seiten flüssiger wird.
Sie sprechen von Lösungen. Wie können die aussehen?
Zunächst: Es gibt nicht für alles die 100-Prozent-Lösung. Oft geht es um kleine, individuelle Lösungen und Kompromisse. Mir hilft es zum Beispiel sehr, wenn ich andere bitte, mich zunächst mit Namen anzusprechen und erst weiterzureden, wenn Blickkontakt da ist. Dann bin ich mit allen Sinnen dabei. Statt acht Personen auf einmal, kann ich zweimal vier Personen zum Geburtstag einladen … Ich sehe es als meine Aufgabe, Menschen mit Hörminderung Mut zu machen, sich mit schwierigen Situationen auseinanderzusetzen und nach Lösungen zu suchen, statt sich zu isolieren. Der konkrete Weg sieht bei jedem anders aus.
Apropos eigene Erfahrung: Welche Rolle spielt sie bei Ihrer Arbeit?
Eine erstaunlich große. Wobei es nicht unbedingt um meine konkreten Lösungen geht. Die sind sehr individuell und kommen für andere so vielleicht gar nicht in Betracht. Entscheidender ist, dass ich viele Situationen aus eigenem Erleben kenne. Ich weiß sehr genau, wonach ich die Betroffenen fragen muss, um sie dazu anzuregen, über neue Wege nachzudenken. So finden sie die Lösungen, die zu ihnen passen. Außerdem spüren die Menschen, dass ich Verständnis für sie habe, dass ich nachvollziehen kann, wie deprimierend manche Situationen sind. Das hilft vielen. Es ist oft das erste Mal, dass sie darüber sprechen. Und indem sie ihre Situation in Worte fassen, fangen sie an, zu begreifen und zu verarbeiten.
Arbeiten Sie überwiegend mit hochgradig Schwerhörigen?
Nein, interessanterweise ist das eher die Ausnahme. Die meisten, die ich berate – inzwischen ausschließlich online – sind mittelgradig Schwerhörige ab Mitte fünfzig und beruflich noch sehr aktiv. Bei ihnen hat die Schwerhörigkeit früher begonnen als bei vielen anderen, und sie stellen nun fest, dass sie auch mit Hörgeräten in akustisch komplexen Situationen nicht mehr richtig mitkommen. Sie haben Schwierigkeiten, ihren Job auszuführen. Da geht es dann um die Frage: Was kann ich tun, damit ich die Kollegen besser verstehe? Wie kann ich die Höranstrengung reduzieren – und damit die Übermüdung am Ende des Tages? Muss ich Stunden reduzieren oder gibt es einen Weg, wie ich das alles noch vernünftig schaffe? Außerdem suchen aktive Senioren und Großeltern meinen Rat, die trotz Schwerhörigkeit weiterhin voll im Leben integriert bleiben möchten.
Mit welchen Schwierigkeiten kommen die Menschen zu Ihnen?
Eine große Rolle neben dem erschwerten Sprachverstehen spielen Müdigkeit und Vergesslichkeit. Viele bringen das zunächst nicht mit ihrer Hörminderung in Verbindung. Manche denken, sie hören nicht nur schlecht, sondern werden auch noch blöd. Dabei ist die Erklärung einfach: Vergesslichkeit ist ein Zeichen dafür, dass jemand aktiv mitdenken muss, um aus dem Gehörten ein Sprachverstehen zu machen. In der Folge fehlen die kognitiven Ressourcen, um Inhalte abzuspeichern. Mein Audiotherapie-Dozent hat immer gesagt: Der Feind des guten Verstehens ist das angenehme Hören.
Das müssen Sie erklären …
Hörgeräteträgern fällt es oft schwer, sich mit der nötigen Lautstärke anzufreunden. Sie ziehen es vor, angenehm zu hören. Damit verzichten sie auf die hohen Töne, die wir zur Spracherkennung benötigen. Sie hören das „f“ nicht mehr oder können „t“ und „d“ nicht unterscheiden. Das Ziel muss es sein, gut zu verstehen, nicht angenehm zu hören. Sich an die Lautstärke zu gewöhnen, kann anstrengend sein – aber es lohnt sich.
Welche Rolle spielt die Wahl des Hörsystems?
Man sollte sehr genau hinhören. Ich empfehle, Hörsysteme in verschiedenen Qualitätsstufen in konkreten Alltagssituationen auszuprobieren. Wenn man mit der höheren Qualität deutlich besser zurechtkommt, ist sie kein Luxus, sondern bedeutet Lebensqualität.
Können Sie Beispiele nennen, in welchen Momenten Sie die Unterschiede bemerkt haben?
Wenn Menschen an warmen Sommerabenden draußen sitzen, sprechen sie in der Regel leiser, sobald es dunkel wird. Oft hatte ich an solchen Abenden schon früh Schwierigkeiten, diese leisen Gespräche zu verstehen. Als ich dann neue Hörgeräte mit einer höherwertigen Sprachverarbeitungssoftware getestet habe, war das anders. Ich konnte länger an der Kommunikation teilnehmen, weil leise Gespräche besonders stark verstärkt wurden. Das bedeutete einen riesigen Gewinn für mich. Auch die Windgeräuschunterdrückung war merklich besser. Da ich in Hamburg lebe, war das ein Plus an Lebensqualität, sobald ich aus der Haustür getreten bin – und sei es nur zum Einkaufen. Ähnlich kleine Unterschiede habe ich viele bemerkt. Meine damalige Entscheidung für eine höhere Qualitätsstufe hat sich damit absolut gelohnt.
Sie arbeiten nicht nur als Audio-Coach, sondern haben darüber hinaus ein Online-Hörtraining entwickelt. Was ist das Besondere daran?
Im Prinzip ist mein Online-Hörtraining eine Hilfe zur Selbsthilfe. Ich spreche alle schwierigen Aspekte, denen ich als Schwerhörige im Alltag begegnet bin, einzeln an. Mein Ziel ist es, dass die Menschen sich mit verschiedenen Situationen auseinandersetzen, in denen sich der Hörverlust besonders bemerkbar macht. Ich motiviere sie zum Beispiel, ihr Lieblingscafé weiter zu besuchen und die akustische Überforderung als Abenteuer und Herausforderung zu betrachten, anstatt die Geräusche dort als Krach negativ zu bewerten. Letztendlich habe ich viele grundlegende Dinge aus meinem Coaching in das Training integriert, sodass mehr Menschen Zugang dazu haben.
Sollte jeder Schwerhörige ein Hörtraining machen?
Sagen wir so: Ich empfehle es jeder Person, die ihr Hörsystem noch nicht als „Freund“ empfindet.
Kurz erklärt: Was ist eigentlich ein Cochlea-Implantat?
Ein Cochlea-Implantat (CI) ist eine Hörprothese. Sie hilft Gehörlosen, Ertaubten und hochgradig Schwerhörigen, wieder an der Welt der Hörenden teilzuhaben. Voraussetzung ist ein intakter Hörnerv, da CIs den geschädigten Teil des Ohres umgehen und den Hörnerv direkt stimulieren.
Mehr Infos...
- über Jana Verheyen und ihre Arbeit: www.audio-coaching.net
- über Jana Verheyens Hörtraining: www.online-hoertraining.de