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Cochlea-Implantat: Wenn Hörsysteme nicht mehr ausreichen
Ein Cochlea-Implantat, kurz CI, kann tauben oder stark schwerhörigen Menschen das Hören und Verstehen wieder ermöglichen. Damit ist das CI in der Medizin einmalig: Es ist die einzige Prothese, die ein Sinnesorgan vollständig ersetzen kann. HÖREXperte Johannes Liebel erklärt im Interview, wie ein CI funktioniert und was rund um die Versorgung passiert.
Herr Liebel, wann ist der Punkt gekommen, an dem Sie Menschen raten, über ein CI nachzudenken?
Ganz früher war es so, dass man nur taube Menschen mit einem CI versorgt hat. Inzwischen hat sich die medizinische Indikation geändert. Eine Implantation kommt infrage, wenn Schwerhörige mit der bestmöglichen Hörgeräteversorgung nur noch ein Sprachverstehen von 60 Prozent oder weniger bei einem Sprachpegel von 65 Dezibel im Freifeld erreichen. Im Freifeld bedeutet, dass der Hörtest über Lautsprecher erfolgt. Die Betroffenen selbst sagen häufig, dass sie zwar noch hören, aber nichts mehr verstehen – vor allem, wenn mehrere Personen sprechen oder Nebengeräusche vorhanden sind.
Die meisten Menschen kennen in ihrem Umfeld Personen mit Hörsystemen, bei Cochlea-Implantaten sieht das anders aus. Wie funktioniert ein CI?
Ich erkläre meinen Kundinnen und Kunden anhand eines Ohrmodells, was das Problem ist bzw. wo es liegt. Das Modell zeigt einen Querschnitt durch den Kopf, bei dem man Außen-, Mittel- und Innenohr sieht. Das Innenohr wird auch als Cochlea oder Hörschnecke bezeichnet. Darin wiederum befinden sich Tausende von Haarzellen, die im Normalfall eingehende Schallwellen in Nervenimpulse umwandeln und über den Hörnerv an das Gehirn weiterleiten. Sind sie beschädigt oder sterben ab, funktioniert das nicht mehr einwandfrei und wir hören schlechter. Hörsysteme verstärken den Schall und können bei ausreichender Anzahl an funktionierenden Haarzellen das Verstehen verbessern. Sind zu viele Haarzellen abgestorben, reicht das nicht mehr aus, um das Gehörte adäquat aufzulösen. Mit einem CI können wir die defekten Haarzellen umgehen und die Funktion des Innenohrs ersetzen. Das CI wandelt Schall in elektrische Reize um, gibt sie an den Hörnerv ab und erzeugt so eine Hörwahrnehmung.
Das klingt fantastisch. Trotzdem machen sich Betroffene vermutlich den ein oder anderen Gedanken, bevor sie sich für ein CI entscheiden.
Ja, das stimmt – immerhin ist es eine OP. Die implantierenden Kliniken führen sie mittlerweile aber routinemäßig durch. Die OP dauert in der Regel etwa eineinhalb Stunden. Um CI-Kandidaten und Kandidatinnen die Angst vor der OP und allem, was danach kommt, zu nehmen, ist es oft hilfreich, sie mit einer Person ins Gespräch zu bringen, die bereits mit einem CI versorgt ist. Diese kann aus ihrer Sicht erzählen, welche Erfahrungen sie gemacht hat. Natürlich berate auch ich die Kundinnen und Kunden umfassend, kläre über das Prozedere und die weitere Nachsorge auf und stehe für Fragen zur Verfügung. Wichtig ist, die Betroffenen an die Hand zu nehmen und auf der neuen Hörreise zu begleiten. Ich unterstütze sie, indem ich zum Beispiel den ersten Termin in der Klinik für sie vereinbare. Die Kontaktaufnahme ist für viele eine große Hemmschwelle.
Die OP dauert also etwa eineinhalb Stunden. Können die Patienten anschließend sofort wieder verstehen?
Nein, das Sprachverstehen ist tatsächlich ein Prozess. Es ist wichtig, den Patientinnen und Patienten das von Anfang an zu verdeutlichen. Wenn der Sprachprozessor das erste Mal aktiviert wird – in der Regel passiert das vier bis fünf Wochen nach der OP –, geht es zunächst um einen ersten Höreindruck. Die meisten Patienten verstehen zu diesem Zeitpunkt noch keine Sprache. Das geschieht Schritt für Schritt während der Rehabilitation und dauert etwa ein halbes Jahr bis ein Jahr.
Wie sieht so eine Rehabilitation aus?
Das ist von Klinik zu Klinik unterschiedlich. Sie kann ambulant in der HNO-Klinik bzw. im CI-Zentrum erfolgen oder teilweise wohnortnah. Manche Patienten starten auch frühzeitig mit einer mehrwöchigen, stationären Reha. Das ist vor allem für diejenigen sinnvoll, die schnell wieder in ihren Beruf zurückkehren möchten. Insgesamt ist die Rehabilitationsphase nach AWMF-Leitlinie auf zwei Jahre ausgelegt. Es geht zum einen darum, den Sprachprozessor nach und nach so einzustellen, dass ein optimaler Höreindruck für gutes Sprachverstehen erreicht wird. In Ausnahmefällen geben die Klinken die Aufgabe der Prozessoreinstellung zügig an die Hörakustiker vor Ort ab. Gerade für Menschen, die nicht in der Nähe der Klinik wohnen, ist das ein großer Vorteil. Voraussetzung ist natürlich eine entsprechende Qualifikation und das schriftliche Einverständnis der Klinik. Zum anderen gehört zur Rehabilitation auch ein logopädisches Hörtraining, bei dem Patienten lernen, die zunächst fremden Klangbilder wahrzunehmen, zu unterscheiden, wiederzuerkennen und schließlich mit Sprachlauten zu verknüpfen. Diese logopädische Begleitung kann ebenfalls in der Klinik und/oder wohnortnah erfolgen. Gerade größere Kliniken bieten im Rahmen der Nachsorge weitere therapeutische Angebote an, zum Beispiel Ergotherapie oder psychologische Begleitung. Die medizinischen und audiologischen Kontrollen übernimmt immer die operierende Klinik, es sollte hierzu auf lange Sicht ein jährlicher Kontrolltermin in der implantierenden Klinik stattfinden.
Ist es richtig, das Menschen mit einem CI anders hören als Normalhörende oder Hörgeräteträger?
Ganz klar: ja. Der Höreindruck ist nicht akustisch, es ist ein elektrisches Hören. Die Beschreibungen von Betroffenen sind ganz unterschiedlich: Für manche hört sich zunächst alles nach Micky Maus an oder wie Robotersprache. Andere nehmen zunächst ein Zwitschern oder Piepsen wahr. Das Gehirn modelliert sich das Gehörte nach und nach so zurecht, dass es einen schönen Höreindruck gibt. Eigentlich ist es wie mit allem: Neues ist erst einmal fremd. Wenn man sich daran gewöhnt hat, wird es normal. Entscheidend für den Erfolg ist auch der Wille des Patienten oder der Patientin: Die Bereitschaft, den Prozessor zu tragen, bei der Logopädie mitzumachen und so weiter.
Viele Schwerhörige sind beidseitig mit einem Hörgerät versorgt. Was passiert, wenn ein Hörgerät durch ein CI ersetzt wird?
Die sogenannte bimodale Versorgung kommt immer häufiger vor – und funktioniert in der Regel gut. Auch hier lernt das Gehirn, die unterschiedlichen Höreindrücke zu kombinieren. Während man das CI nach und nach lauter einstellt, regelt man die Verstärkung durch das Hörsystem parallel dazu herunter. Sonst wird der Höreindruck insgesamt zu laut. Inzwischen gibt es auch Zubehör, das sowohl mit Hörsystem als auch mit CI funktioniert. Damit können sich Betroffene zum Beispiel Telefonate vom Smartphone direkt in beide Ohren übertragen lassen.
Wie sieht es mit der langfristigen Versorgung von CI-Patienten aus?
Für die sogenannte technische Nachsorge können Patientinnen und Patienten zu einem Hörakustiker in ihrer Nähe gehen. Voraussetzung dafür ist eine entsprechende Qualifikation des Hörakustikers und ein Kooperationsvertrag mit der implantierenden Klinik. Bei der Nachsorge messe ich, ob das CI einwandfrei funktioniert, überprüfe mit einem Hörtest die Prozessoreinstellungen, berate in Sachen Zusatzgeräte und tausche defekte Einzelteile aus. Außerdem kümmern wir Hörakustiker vor Ort uns darum, dass der Soundprozessor gegebenenfalls nach sechs bis sieben Jahren durch einen neuen ersetzt wird. Ähnlich wie bei Hörsystemen entwickelt sich die Technik stetig weiter. Kann mit einem neuen Prozessor ein signifikant besseres Sprachverstehen nachgewiesen werden, übernehmen die Krankenkassen in der Regel die Kosten für einen neuen Prozessor. Das Implantat unter der Haut ist sehr robust und hat häufig eine Lebensdauer von teilweise über 30 Jahren. Die CI-Hersteller gewährleisten eine Rückwärtskompatibilität mit dem äußeren Soundprozessor, sodass auch bereits länger implantierte Patientinnen und Patienten von der neuesten Technik profitieren können.
Experte in Sachen Cochlea-Implantat
Johannes Liebel hat an der Hochschule Aalen Hörakustik und Augenoptik studiert. Anschließend arbeitete er mehrere Jahre als Audiologe am Universitätsklinikum Erlangen und hat Cochlea-Implantate bei Kindern und Erwachsenen angepasst. Im Anschluss wechselte er als Technischer Spezialist zu einem CI-Hersteller, betreute Kliniken und Akustiker und schulte CI-Chirurgen. Seit 2021 ist Liebel bei Ihr Hörakustiker Breck und leitet die Filiale in Nördlingen. Dort passt er nicht nur Hörsysteme an, sondern kümmert sich auch um die Betreuung von CI-Patienten.
Kurz erklärt: AWMF-Leitlinien
AWMF steht für „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.“ Die AWMF koordiniert seit 1995 die Entwicklung von medizinischen Leitlinien für die Diagnostik und Therapie durch die einzelnen Fachgesellschaften. Leitlinien sind Handlungsempfehlungen, die Ärzte und Patienten bei der Entscheidungsfindung über die angemessene Behandlung einer Krankheit unterstützen.