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Achtsam für den Moment
Gelassen bleiben, auch wenn Stress oder Schmerzen einem das Leben schwer machen. Geht das? Ja, sagt Achtsamkeitstrainer Günter Hudasch.
Erschienen: Dezember 2016
Herr Hudasch, Achtsamkeit ist en vogue, es wird viel darüber geredet. Was genau ist Achtsamkeit eigentlich?
Viele Menschen leben heutzutage immer weniger im Hier und Jetzt. Ein Beispiel: Während wir mit unserem Partner reden, erstellen wir in Gedanken die Einkaufliste fürs Wochenende. Bei Achtsamkeit geht es darum, bei dem zu sein, was man gerade in diesem Moment erlebt. Und es geht darum, Gefühle, Empfindungen oder Stimmungen freundlich zu betrachten, ohne sie zu bewerten.
Heißt das, ich soll auch Momente, in denen es mir schlecht geht, freundlich betrachten? Warum?
Das Leben besteht daraus, dass Momente kommen und gehen – ob sie gut sind oder schlecht. Das kann ich nicht ändern. Deshalb bringt mir weder eine Abwehrhaltung gegenüber unangenehmen Dingen etwas noch der Wunsch, schöne Dinge festzuhalten. Stattdessen geht es um die Frage: Wie kann ich besser bei dem sein, was ist? Dafür ist es wichtig, bei sich zu sein und seinen Körper wirklich zu spüren.
Und das lernt man beim Achtsamkeitstraining ...
Genau. Es gibt zum Beispiel eine Übung, die heißt Body Scan. Dabei leite ich die Teilnehmer an, in jede Stelle des Körpers hineinzuspüren: dorthin, wo es sich gut anfühlt, und dorthin, wo es schmerzt. Beim Body Scan vermeide ich nichts, verharre aber auch nirgends. Dabei nehmen viele oft erst wahr, dass es viele Stellen in ihrem Körper gibt, die völlig okay sind.
Wie verändert das den Schmerz?
Der Schmerz bleibt, tritt aber in den Hintergrund. Nehmen wir das Beispiel Tinnitus: Wenn ich den ganzen Tag darüber nachdenke, dass ich den Tinnitus loswerden möchte, oder überlege, woher er kommt und wie er sich in Zukunft entwickelt, gebe ich dem Geräusch viel Macht. Lerne ich, den Tinnitus zu akzeptieren, bleibt auch wieder Raum für andere Erfahrungen und Empfindungen. Ich ändere also den Umgang mit dem Tinnitus. Der Tinnitus ist nämlich das eine. Das, was wir noch alles auf den Tinnitus draufpacken, das ist das andere. Und das können wir ändern.
Wie lerne ich Achtsamkeit am einfachsten: alleine zu Hause oder in der Gruppe?
Manche können es sicherlich alleine lernen, aber für viele ist das nicht leicht. Ein Kern von Achtsamkeit ist, sich schwierigen Erfahrungen zuzuwenden. Das braucht Energie. Die Anleitung des Trainers hilft, dabeizubleiben. Nehmen wir wieder das Beispiel Body Scan. Wenn ich dabei Unruhe spüre, folge ich zu Hause unter Umständen dem Impuls, aus der schwierigen Situation ausbrechen zu wollen. In der Gruppe tue ich das eher nicht – allein schon, weil die anderen auch die Übung machen. Ich bleibe also dabei und stelle vielleicht fest, dass ich nach einer gewissen Zeit tatsächlich Ruhe finde. So verändert sich meine Erfahrung nach und nach. Ein Kurs in Achtsamkeit dauert in der Regel acht Wochen. Während dieser Zeit lernen die Teilnehmer, ihre Aufmerksamkeit zu lenken statt immer wieder dem inneren Autopiloten zu folgen.
Welche Rolle spielt der Austausch in der Gruppe?
Das ist ein wichtiger Punkt. Wie gesagt: Wir werden häufig von unseren Gewohnheiten gelenkt. Im Gespräch merken wir, dass andere Menschen einen anderen Blick auf die Dinge haben. Das erweitert die Perspektive.
Es klingt ein bisschen, als sei Achtsamkeit eine Wunderwaffe gegen Stress, Schmerz und sonstige Leiden. Stimmt das?
Eine Wunderwaffe ist es ganz sicher nicht. Zum einen braucht es viel Zeit und Energie, Achtsamkeit zu lernen. Und schließlich bleibt unser Leben so, wie es ist: mit all seinen Schwierigkeiten, Krankheit und Tod. Aber Achtsamkeit kann uns helfen, den Umgang mit all diesen Dingen zu ändern und eine freundlichere Haltung gegenüber uns und anderen zu finden.
Mehr zu MBSR:
Günter Hudasch ist Achtsamkeitstrainer und Vorstand des Verbands der MBSR- und MBCT-Lehrer. Die Abkürzungen stehen für verbreitete Achtsamkeit-Trainingsprogramme, MBSR für Mindfulness-Based Stress Reduction. Dieses Anti-Stress-Programm wurde von Dr. Jon Kabat-Zinn in den 1970er-Jahren entwickelt.
In achtwöchigen Kursen lernen die Teilnehmer meditative Übungen für den Umgang mit Stress, schmerzhaften Emotionen, körperlichen Schmerzen oder schwierigen Kommunikationssituationen. Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen die positive Wirkung von MBSR auf die Gesundheit. Mehr Infos unter www.mbsr-verband.de.
Zum Weiterlesen:
- Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR, Knaur MensSana 2013.
- Linda Lehrhaupt und Petra Meibert: Stress bewältigen mit Achtsamkeit: Zu innerer Ruhe kommen durch MBSR, Kösel-Verlag 2010.
Zum Weiterklicken:
Die Schön Klinik Bad Arolsen ist spezialisiert auf die Behandlung von Tinnitus-Patienten. Knut Jöbges ist dort Achtsamkeitstherapeut und Integrativer Bewegungstherapeut. In einem Beitrag für die Zeitschrift Tinnitus-Forum erläutert er, wie Tinnitus-Patienten von MBSR profitieren können. Lesen Sie hier den Artikel.